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Instant-Philosophie

Ein alter Freund besucht uns mit seiner Frau. Wir kennen uns seit dreißig Jahren, er war einer der ersten Dozenten, die nach der Wende nach Leipzig gekommen sind. Mittlerweile ist er ein bekannter Philosoph und erfolgreicher Buchautor.

Er erzählt, dass er keine Seminare mehr gibt. Ich bin erstaunt – warum? In den letzten Jahren war keiner der Studenten noch vorbereitet und hatte das Buch gelesen, über das diskutiert werden sollte. Ich bin im ersten Moment sprachlos. Philosophiestudenten kommen in ein Seminar und haben nichts gelesen, diskutieren dann aber über die paar Seiten, die man in einem Blockseminar zu lesen schafft? Korrekt, antwortet er.

Früher, als er (und später noch auch ich) studierte, hat man die Probleme, die man beim Lesen und Durcharbeiten von Texten hatte, auf sich bezogen. Was habe ich nicht verstanden? Lies es noch einmal! Frage Kommilitonen und wenn das nichts hilft, dann frage den Dozenten. Philosophische Texte haben es an sich, dass sie nicht einfach sind – sie bauen auf einer langen Tradition auf, sind in einem geschichtlichen Umfeld enstanden, sie versuchen Welt neu zu erschliessen und müssen dafür oft auch neue Worte finden.
Heute fragen die Studenten, warum sich Philosophen so kompliziert ausdrücken müssen. Sie verstehen es nicht, suchen den Grund nicht aber bei sich selbst, sondern bei den Autoren.

Im Grunde überrascht mich diese Haltung nicht, sie ist vielmehr normal geworden: von allen anderen fordern, dass sie einem alles möglichst kostenlos und ohne eigene Anstregung mundgerecht servieren und dann kritisieren (meckern), dass es irgendwie trotzdem falsch ist… Verwöhnte Kinder, im Körper eines jungen Erwachsenen gefangen,  ausgestattet mit dem Selbstreflexionsvermögen und der Kritikfähigkeit eines Pubertierenden – gefördert, aber nie wirklich gefordert.
So werden Kulturen weder erhalten noch entwickelt und vielleicht sollten unsere Bildungspolitiker, Pädagogen und Lehrer einmal darüber nachdenken, ob sie ihre Menschenversuche nicht bald einstellen sollten.

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Autor: querfeldein

"Ich glaube nicht, daß ein vernünftiger Mann in Deutschland ist, der sich um das Urteil einer Zeitung bekümmert, ich meine der ein Buch verdammt, weil es die Zeitung verdammt, oder schätzt, weil es die Zeitung anpreist, denn es streitet schlechterdings mit dem Begriff eines vernünftigen Mannes." Georg Christoph Lichtenberg

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