Rupert Sheldrake hat sich schon in jungen Jahren mit seiner Hypothese von der morphischen Resonanz als einem Form- und Verhaltensgedächtnis der Natur seinen Ruf in der etablierten Wissenschaft ruiniert. Gab es anfangs noch renommierte Befürworter einer Diskussion seiner Thesen, ist in den Zeiten von Genetik, Biotechnologie und allgemeinem Machbarkeitswahn davon keine Rede mehr.
Jetzt, gut 35 Jahre später, schreibt er ein Buch über die Wiederentdeckung der Spiritualität und stellt sieben Praktiken mit ihrem Einfluss auf Körper und Psyche vor: Meditation, Dankbarkeit, Mensch und Natur (als In-Kontakt-Sein mit der mehr-als-menschlichen Natur), die Beziehung zu Pflanzen, Rituale und die Präsenz der Vergangenheit, Gesang, Sprechgesang und die Macht der Musik, Pilgerreisen und heilige Stätten. Mit jeweils zwei Übungsvorschlägen wird jedes Kapitel abgerundet. So weit , so mittelprächtig interessant. Wer eine Art Kochbuch für ein spirituelles Leben erwartet, wird enttäuscht werden. Sheldrake ist immer noch ein Sucher, der jenseits der Autobahnen der Wissenschaft unterwegs ist. Mit Mitte siebzig sieht er dieses Buch als den „Ertrag“ seiner langjährigen Reise durch Wissenschaft, Geschichte, Philosophie, Spiritualität, Theologie und Religion sowie seiner Reisen durch die Welt. Dieses Querfeldein-Denken macht die Lektüre dann spannend. Drei Kostproben, um sie neugierig zu machen:
1) In einer Gesellschaft, die auf Tauschhandel basiert, verkümmert die Dankbarkeit und es wächst die Anspruchshaltung. Erst Unglücksfälle verändern die Perspektive und machen uns bewusst, dass nichts so selbstverständlich ist, wie es immer den Anschein haben mag. Von unserem Weltbild hängt es ab, ob wir Dankbarkeit empfinden können oder ob eben alles nur Zufall und Notwendigkeit, Wissenschaft, Technologie und harte Arbeit ist. Mit ein paar gedanklichen Federstrichen macht Sheldrake klar, wie unwahrscheinlich unsere Existenz aus kosmischer Sicht eigentlich ist, was für ein Wunder das Dasein jedes Menschen ist und wie uns Dankbarkeit mit dem Fluss des Lebens verbindet – oder eben auch nicht.
2) Heute scheinen wissenschaftliche Modelle wichtiger als die lebenden Organismen zu sein, die sie beschreiben. Die lebendige Natur wird durch abstrakte Konzepte ersetzt, die nur im menschlichen Geist und in Computerprogrammen vorkommen. Dennoch sind ganz real an jedem Wochenende viele Menschen aus der Stadt unterwegs in die Natur und folgen damit offenbar einem menschlichen Grundbedürfnis. In diesem Zusammenhang analysiert er historisch verschiedene Weltbilder und ihr Verständnis von Gott, Natur und Evolution. Diese Grundannahmen konfigurieren Wahrnehmung und Verständnis und v.a. unser Verhalten zur Welt. Dagegen ist sein Abstecher zur Frage, ob die Sonne vielleicht auch ein Bewusstsein hat, fast schon eine Lockerungsübung.
3) Blütenpflanzen gibt es schon Millionen von Jahren länger als den Menschen und woher kommt eigentlich der Schönheitssinn der Insekten, die sie bestäuben? Schönheit und Fülle sind für die Evolution eigentlich gar nicht notwendig.
Sheldrake hat sich den Blick für das Lebendige und für die Wunder dieser Welt bewahrt. Im Hintergrund ist dieses Buch eine Auseinandersetzung mit der herrschenden materialistischen Weltanschauung, das eine mehr-als-menschliche Welt nicht anerkennen will und vor allem sich selbst nicht als ein Glaubenssystem zu sehen imstande ist.
Die Wiederentdeckung der Spiritualität. 7 Praktiken im Fokus der Wissenschaft
O.W. Barth Verlag 2018
ISBN: 978-3-426-29288-4