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Waldkinder der pantheistischen Moderne

Meine Begegnung mit den Waldvölkern von Thomas Höffgen

Als ich mich als junger Mann eine Zeit lang im südamerikanischen Regenwald aufhielt, um ein ökologisches Volontariat zu absolvieren, lernte ich das indigene Volk der Ese’Eja näher kennen: Die Ese’Eja Indios, deren Name „wahre Menschen“ bedeutet, siedeln abgelegen in den Tieflandregenwäldern Perus und Boliviens, entlang der Flussläufe; bis vor wenigen Jahrzehnten lebten sie noch halbnomadisch in den Wäldern. Für mich bedeutete die Begegnung mit Ese’Eja den Kontakt zu einer Kultur, die noch ganz von einem naturmagischen Bewusstsein und einem lebendigen Schamanentum getragen wird, wie ich als Europäer es ansonsten nur aus Mythen oder Märchen kenne, die aus alten Zeiten überliefert sind, als auch Europa noch von Wald bedeckt war. Mehrere Wochen lebte ich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Indianern und lernte ihre Lebensweise und Kultur näher kennen, ihr wildes Denken und magisches Handeln, den Weltenbaum und die Waldgeister. Ich lernte eine Weltanschauung kennen, in der die ganze Umwelt als beseelt und die Gesamtheit der Natur als heilig und durchgöttert gilt. Das war eine der bedeutsamsten Erfahrungen in meinem Leben.

Aber es gab auch traurige Momente. Etwa als der Älteste des Indianerdorfs von der ersten Erfahrung der Ese’Eja mit den Europäern berichtete: In dramatischen Bildern erzählte er von der traumatischen Konfrontation mit den „Eroberern“ (conquistadores) im Gefolge von Kolumbus, die im 16. Jahrhundert in das Land eindrangen, um die Ureinwohner zu unterwerfen und zu christianisieren (cristianizar).

Die Bekehrer hätten den friedlichen Naturglauben der Indianer als einen Götzendienst missinterpretiert (idolatria) und die Ureinwohner seien allesamt als Teufelsdiener gebrandmarkt und bestraft, gefoltert und getötet worden (sirvientes del diablo). Vor allem die Schamanen und die Hexen (hechiceros y brujas), die mit den Naturgeistern in besonderem Kontakt standen, seien verfolgt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden; aber ganze Völkerschaften habe man dahingerafft und ausgerottet (genocidio). Die Ese’Eja hätten diese „teuflische Tyrannei“ (tirania diabólica) nur überleben können, weil sie sich tief im Regenwald versteckt hielten und ihre Stammestraditionen über Jahrhunderte im Geheimen aufrecht hielten; wären sie entdeckt worden, würde es sie heute nicht mehr geben. „Der Wald hat uns gerettet!“ (la selva nos salvó), schloss der Älteste seine bewegte Rede, derweil ich fürwahr mit feuchten Augen vor ihm auf dem Boden saß.!

Ein paar Jahre später — wieder in Deutschland — musste ich an dieses Gespräch zurückdenken: Ich arbeitete gerade an meiner Doktorarbeit zum Thema „Hexensabbat“ und stieß in der Bibliothek der Ruhr-Universität Bochum auf mehrere alte Texte, die sich wiederum genauso lasen, wie die Berichte dieses alten Ese’Eja-Mannes aus dem Regenwald. Doch stammten diese Texte nicht aus dem frühneuzeitlichen Amerika, sondern aus dem europäischen Altertum, und sie handelten auch nicht von Indianern, sondern von Germanen: Mittelalterliche Missionsberichte und frühneuzeitliche Inquisitionsakten, die von einer Zwangschristianisierung unserer europäischen Vorfahren nach demselben Muster zeugen. Anscheinend konnten die Missionare auf einiges an Erfahrung zurückgreifen, als sie die Neue Welt eroberten, hatten sie die Alte Welt doch bereits ein paar hundert Jahre vorher mit derselben Vorgehensweise unterjocht und unterworfen. Offensichtlich wurden auch die europäischen Waldvölker, dıe sıch nicht taufen lassen wollten, über Jahrzehnte und Jahrhunderte verfolgt, weil sie weiter an die alten Götter der Natur glaubten.

Doch gibt es einen großen Unterschied zu den Ese’Eja: Für die europäischen Heiden gab es nämlich kein „Happy End“. Zwar zogen sich auch die germanischen Stämme zunächst in verlassene Wildnisse und unzugängliche Wälder zurück, um die alten Traditionen ım Geheimen fortzusetzen.

Doch nach ein paar Jahrzehnten brutalen Besatzungsrechts war auch dieser Widerstand der letzten Heiden, die sich selbst übrigens „Waldkinder‘‘ nannten, gebrochen; zumal der schützende Urwald zeitgleich radikal gerodet wurde. Anders als bei den Ese’Eja also, deren Mythen mündlich und Riten praktisch weitergetragen wurden, gibt es in Europa keine ungebrochene Überlieferungstradition, die uns noch heute mit den alten und den ältesten Weisheiten unserer Kultur — den Waldgeistern und den Weltenbäumen — verbinden könnte. Alles alte Wissen wurde damals verboten und verfolgt – und mit ihm das Wissen um die Göttlichkeit in der Natur.

Schon Friedrich Schiller war sich sicher, dass mit der Christianisierung eine schwerwiegende Entfremdung von der Natur einherging: Mit der Verdrängung der vorchristlichen Naturreligion sei eine „schöne Welt“ verlorengegangen, in der die Wälder pantheistisch alldurchgöttert waren und „eine Dryas lebt’ in jedem Baum“. Im Zuge der monotheistischen Zwangsmission — „Einen zu bereichern, unter allen“ – sei die lebendige Natur jedoch entgöttert und entweiht und entzaubert worden: „Durch die Wälder ruf ich, durch die Wogen, Ach! sie widerhallen leer!“

Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn natürlich ließ sich das alte Wissen nicht immer ganz so einfach auslöschen, ließen sich uralte mythologische und kosmologische Überlieferungen, die seit Jahrhunderten zum kulturellen Kanon zählten, nicht einfach so verdrängen und vergessen. Abgesehen von den alten Göttern waren auch die religiösen Riten, Brauchtümer und Jahresfeste vielfach so fest im Volksglauben verwurzelt, dass es den Bekehrern äußerst schwerfiel, diese kurzweg zu beseitigen. Daher entwickelten die Christen — übrigens auf Anweisung vom Papst persönlich – eine geradezu perfide Methode der Missionierung: Anstatt nämlich den alten Glauben zu negieren, wurde er von den Bekehrern ganz bewusst pervertiert (von lat. perversus: „verdreht, verkehrt“). Die heidnischen Mythen, Riten und Bräuche wurden systematisch umgedeutet, meistenteils verteufelt, gelegentlich sogar zu Legenden oder Liturgien uminterpretiert (man spricht von interpretatio christiana). Freilich fiel es den meisten orthodoxen Christen nicht besonders schwer, die heidnische Kultur zu korrumpieren, glaubten sie doch fest daran, dass der Dienst an der Natur fürwahr ein Götzendienst und die alten Götter allesamt Dämonen seien. Das heißt aber zugleich, dass die vorchristliche Kulturtradition im Grunde gar nicht verschwunden ist, sondern verfälscht: Das heidnische Erbe Europas, das uns zum Beispiel die Germanen überliefern, liegt vielmehr in veränderter Gestalt vor — alles ist irgendwie verdreht, verkehrt und durcheinandergeworfen, eben: „diabolisiert“.

Oder anders formuliert: Will man heute etwas über die alte Religion Europas in Erfahrung bringen, tut man gut daran, zunächst zu schauen, wo etwas vom Teufel und von Hexen steht und man kann sich meist sicher sein, dass etwas Heidnisches dahintersteckt. Aber auch so manch ein Kirchenheiliger vermag sich bei genauerer Betrachtung als ein alter Heide zu entpuppen. Und wer den katholischen Kalender kennt, der kennt auch schon die meisten alten Jahresfeste.

Fragt sich bloß, ob dies wirklich der Platz sein soll, den wir den alten Göttern — mithin der Kultur und Kosmologie unserer europäischen Ur-Ahnen – in der Geschichte einräumen wollen. Ungleich sinnvoller erscheint doch wohl der Ansatz, die Ereignisse zur Zeit der Christianisierung kritisch aufzuarbeiten, die Religionsgeschichte wahrheitsgetreu wiederzugeben und das vorchristliche Heidentum authentisch zu erinnern. Vielleicht ja sogar zu dem Zwecke, das fast vergessene Wissen der Waldvölker auf eine neue und gewinnbringende Art und Weise für unsere Gesellschaft wiederzuentdecken und wiederzubeleben, etwa im Rahmen einer „pantheistischen Moderne“. Schiller jedenfalls wünschte sich nichts sehnlicher, als dass die verteufelten Naturgeister irgendwann wieder zurückkommen: „Schöne Welt, wo bist du? — Kehre wieder, holdes Blütenalter der Natur!“.

Zum Glück gibt es fleißige Forscher, Philologen und Volkskundler, denen es einen Heidenspaß bereitet, die naturreligiösen Traditionen wieder zu ent-teufeln, wissenschaftlich fundiert und historisch evident, aber durchaus auch verbunden mit der pantheistischen Vision, das alte Wissen für die Gegenwart und Zukunft wieder fruchtbar zu machen, Philosophen also, denen es am Herzen liegt, dass wir alle wieder „wahre Menschen“ werden und der Wald wieder ein „wahrer Wald“.

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Zeitenwende

Die Medien verbreiten Angst und manche Menschen sind fast in Panik. Ende August erlebte ich live, wie im Zug eine Schaffnerin einen hysterischen Anfall bekommt, weil zwei Reisende keine Masken tragen. Angst erzeugt Stress, Stress verhindert klares Denken, der Mensch schaltet in den Überlebensmodus – Kampf, Flucht oder Erstarrung. Das prägt unsere Öffentlichkeit seit Monaten, wobei Flucht auch keine Option ist – wohin auch?

Trotzdem sind sich erstaunlich viele bewußt, dass wir das Ende eines Zeitalters erleben. Das Geld ist alle und neue Schulden werden das Problem nicht lösen, sie werden das Problem nur verschärfen. Eine bald 80-Jährige will zwar keinen Handschlag und schon keine Umarmung, aber beim Gehen sagt sie mir: „das Geld ist doch sowieso schon alle. Ich habe ja nicht mehr so viel Zeit, aber ihr werdet das ausbaden müssen.“ Ein Freund, der gerade mit 60 in den Vorruhestand geht, ist sich auch nicht so sicher, ob das wirklich sein letzter Arbeitstag war. Irgendjemand wird den Karren ja aus dem Dreck ziehen müssen. Ob die Jüngeren das schaffen, sieht er eher skeptisch. Aus dem Arbeitsleben verabschiedet sich auch eine Freundin, weil sie keine Lust mehr hat, den ganzen Schwachsinn und die Masse an Schmarotzern mit zu mästen. Die Geschichten, die sie zu ihren Arztbesuchen erzählt, lasse ich besser weg, sonst bekomme ich Besuch von der Polizei wegen „Hassverbrechen“.

Ich komme aus der Zukunft, ich bin aus der DDR. So durchgeknallt und widernatürlich war es aber zumindest in den 80er Jahren selbst im Osten nicht.

Eine alte Normalität wird es nicht geben, eine neue Normalität wie sie uns in Aussicht gestellt wird, wird es mit mir nicht geben. Die Zeichen stehen auf Sturm. Seit zwanzig Jahren habe ich mich von den Massenmedien abgekoppelt und selbst Informationen zusammengesucht, die mich interessieren. Schnell ist der Punkt erreicht, an dem die Anknüpfungspunkte für Gespräche selten werden und irgendwann reißen sie ganz ab. Das Politiktheater ist nicht relevant, es ist das Fastfood für die Menge. Der tägliche, permanente Fluß an Aufregungen lenkt nur von den eigenen Fragen ab, und das ist genau so gewollt. Mit etwas Abstand kann man diesem Land nur noch eine schwere Störung diagnostizieren.

Der Instinkt funktioniert aber zum Glück noch und manchmal auch das Gewissen. Wir stehen vor einem Umbruch, der die Wende und die Wiedervereinigung wie einen Kindergeburtstag aussehen lassen werden. Die Lügenkonstrukte von Jahrhunderten werden kollabieren, unsere Weltbilder auseinanderfallen und von den aufgeblasenen Egos wird nicht einmal Asche übrig bleiben.

Bis dahin ist es aber noch ein Stück Weges. Jeder Mensch, der noch über eigene Wahrnehmung und Reste selbständigen Denkens verfügt, mit dem sein Gewissen in den stillen Momenten Klartext spricht, hat eine Ahnung, wie groß die Lüge in unserer Welt geworden ist, wie sehr die medial dargestellte Wirklichkeit von der selbst erlebten abweicht, wie absurd das Abseitige als normal dargestellt wird und das Normale als falsch und verbrecherisch. Satan ist der Vater der Lügen und manchmal kommen mir da seltsame Gedanken zum heutigen Geschehen… Apokalypse heißt aber übersetzt nur Entschleierung, Enthüllung.

Volksweisheiten

So wie jeder Hund nur zwei Mahlzeiten von einem Wolf entfernt ist, ist jede Gesellschaft nur drei Mahlzeiten von der Revolution entfernt.

Die erste Corona-Welle haben wir ja nur mit einer Unterversorgung an Toilettenpapier und Küchenrollen gut überstanden. Allerdings frage ich mich jetzt noch mehr als vorher schon, was passiert, wenn die Nahrungsmittelversorgung nur kurzzeitig unterbrochen wird.